Ein kleiner Exkurs:
Samenfeste und hybride
Gemüsesorten

Lecker – Biotop-Gemüse! Wie unsere Mitglieder brechen auch wir im Team oft in Begeisterung aus, wenn wir die erste Frucht einer Kultur probieren, Sorten vergleichen, uns gegenseitig bekochen. Unser Gaumen ist so daran gewöhnt, dass wir uns sogar das Gemüse mit in den Urlaub nehmen, da wir oft nichts Vergleichbares finden 🙂 Sicher – Geschmack ist sehr ausschlaggebend bei unserer Sortenauswahl, aber nicht das einzige Kriterium. Wir sind ein Betrieb und brauchen soweit möglich und mit unseren Grundsätzen vereinbar Versorgungssicherheit für unsere Mitglieder!

Menschen neigen dazu, Dinge zu kategorisieren und zu schnell in Schubladen zu stecken. So vielleicht auch in diesem Fall, je nachdem wer was wo gehört und wie intensiv er sich damit auseinandergesetzt hat. Die Rede ist von samenfesten und hybriden Sorten.

Zum Verständnis: Eine Hybridsorte (F1) entsteht durch die Kreuzung zweier geeigneter Inzucht-Linien, die jeweils mehrere Generationen durchlaufen haben, also mit sich selbst gekreuzt wurden. Die F1-Generation ist nicht gleichartig reproduzierbar, aber sehr einheitlich, meist sogar potentiert in ihren positiven Eigenschaften gegenüber den reinerbigen Elterngenerationen. Die samenfesten Sorten hingegen sind reproduzierbar, die nächste Generation hat die gleichen Eigenschaften. Man nennt sie samenfest, sortenrein, nachbaufähig. Auch hier wird im Vorhinein – durch Kreuzung und Selektion – gezüchtet. Mit Bio oder konventionell hat das nichts zu tun. Die Sorten im Biohandel etwa sind zu ca. 80% Hybriden.

Samenfeste oder hybride Sorten sind ein heikles „politisches“ Thema, das auch mit großen Konzernen wie Monsanto zu tun hat. Sie setzen auf nicht reproduzierbares Hybridsaatgut das noch dazu patentiert ist und machen so Kleinbauern weltweit dauerhaft von sich abhängig.
Samenfestes Saatgut steht für Unabhängigkeit und ist grundsätzlich auch regional besser angepasst. Mit dem Einsatz von samenfestem Saatgut unterstützen wir kleine Saatgutzüchter, die sich dem Erhalt und der nachhaltigen Weiterentwicklung von diesem Kulturgut verschrieben haben. Außerdem bringen samenfeste Sorten wieder eine geschmackliche Vielfalt mit sich, die leider zunehmend verloren geht. Es werden immer mehr Hybrid-Hochleistungsorten angeboten, bei denen es nur noch um Ertrag geht. Beispiel: die Wassertomate aus Holland 😉

Unser Ziel im Biotop war und ist es daher, den Anteil der samenfesten Sorten zu erhöhen. Allerdings nicht um jeden Preis. Sind Sorten in Qualität, Geschmack und Aufwand vergleichbar, würden wir uns immer für die samenfeste Sorte entscheiden. Generell betrachten wir unsere Sortenauswahl ganzheitlich, also auch ressourcenschonend. Darunter verstehen wir auch einen schonenden Mitteleinsatz, der sich natürlich betrieblich niederschlägt: wie viel Dünger, Bewässerung, Pflege, Bodenbearbeitung und Arbeitszeit und damit Lohn haben wir eingebracht? Wie viel haben uns Anzucht bzw. Jungpflanzen gekostet? Was kann der Standort leisten? Das Biotop liegt in einer Grenzertragslage mit verkürzter Vegetationszeit: 650 m über NN, Durchschnittstemperatur 8°C, mit 970 mm Jahresniederschlag recht feucht. Dem halten einige samenfesten Sorten einfach nicht stand und/oder reifen nicht aus. So sind unsere Gurken, und derzeit auch alle Tomaten Hybridsorten. Gerade bei den Tomaten haben wir viel experimentiert – mit der samenfesten Cocktailtomate Black Cherry zum Beispiel. Im Geschmack unschlagbar, reifte sie jedoch im Vergleich zu spät und ging dann bei gutem Fruchtbehang fast direkt in den faulen Zustand über, war krankheitsanfällig und daher pflegeaufwändig. Die Pflege betraf dann auch die anderen Tomatensorten, da es sich meist um Pilzkrankheiten handelte, die leicht im Bestand übertragen werden können. Nach mehreren Jahren also auch hier die Entscheidung, diese Sorte nicht wieder anzubauen. Bei Auberginen – neu 2021 – gibt es gar keine samenfeste Sorte. Bei Paprika unterscheiden wir: die Blockpaprika ist F1, da die samenfesten Sorten allesamt sehr spät ausreifen. Die samenfeste Spitzpaprika macht sich aber hervorragend! Soweit zu Sommerkulturen im Gewächshaus. Aufgrund der langen Standzeit und dem hohen Pflegeaufwand ist die Sortenwahl hier umso ausschlaggebender.

Im Freiland sind Blumenkohl und Brokkoli auch als F1 Sorten schon schwierig anzubauen. Der Fenchel ist F1, da er eine hohe Schoßfestigkeit besitzt. Sonst wären mal eben 30-40% des Bestandes nicht mehr brauchbar, und unsere Maßgabe ist ein Ertragsniveau von ca. 80% gegenüber der entsprechenden Hybridsorte. Bei Kraut und Sellerie ist das Stückgewicht bei F1 deutlich höher. Karotten und Salate sind alle samenfest! Interessant zum Beispiel, dass unsere beiden samenfesten Maissorten Mezdi und Tramunt (Bingenheimer) aus einer F1 Sorte entstanden sind, denn es gab damals für die geforderten Zuchtziele nur Hybridsorten. Zugegeben, dieser Prozess ist sehr (zeit)aufwändig, kann aber zum Erfolg führen. Im Prinzip kann jede Sorte weitergezüchtet werden oder sich auf natürliche Weise weiterentwickeln. Was jedoch daraus entsteht, ist bei F1 eine absolute Überraschungstüte.

In den ersten beiden Anbaujahren hat das Biotop ausschließlich auf den Anbau samenfester Sorten gesetzt. Die oben erwähnten Sommerkulturen lieferten als solche kaum Ertrag. In der Jahresumfrage 2017 sprachen sich die Mitglieder mehrheitlich für den „Kompromissanbau von Hybriden mit parallelem Testanbau von samenfesten Vergleichssorten“ aus, was wir in Folge auch umgesetzt haben.

Das klingt erstmal nach vielen Hybridsorten – die Betrachtung der Flächenbelegung relativiert das Verhältnis aber. Unsere Fläche ist demnach übers Jahr gesehen zu 80-90% mit samenfesten Sorten belegt.

Von vormals deutlich mehr Sorten haben wir aktuell ca. 100 herauskristallisiert (samenfeste + F1). Aus zeitgleichen Sortenversuchen (Beispiel Lauch, 3 Sorten im Vergleichsanbau, jetzt 1 Standardsorte), Reduktion der Sortenanzahl an sich (Salat nur noch 3 bewährte Sorten im Anbau), Wegfall von Kulturen (Pastinake), aber auch wieder neuen Kulturen wie Spargel, Topinambur, Aubergine, hält sich die Anzahl der Sorten und auch die der samenfesten vs. F1 Sorten insgesamt die Waage. Wir bleiben immer auf dem Laufenden, was sich bei den Saatgutanbietern tut. Gerade bei samenfesten Sorten erwarten wir in Zukunft eine deutliche Entwicklung und können ja auch jedes Jahr neu reagieren. Das ist der Vorteil beim Gemüsebau!